Geschichte

 Der Kulturverein Wilhelmsdorf e.V.

wurde im Juli 1983 gegründet und gehört damit zu den Veteranen der oberschwäbischen Kulturinitiativen. So blieb es nicht aus, dass die Satzung des Kulturvereins ein begehrtes Papier wurde, das viele jüngere Initiativen gründlich studiert haben. Der Kulturverein ist aus einer noch älteren Institution entstanden, nämlich aus der Theatergruppe Wilhelmsdorf. Diese begann ihre Arbeit 1977 und erarbeitete jedes Jahr ein Theaterstück der Weltliteratur, das 1977 in der Turnhalle des Gymnasiums und in den folgenden Jahren im Gemeindehaus der Evangelischen Brüdergemeinde Wilhelmsdorf gespielt wurde.

Reinhold Löhner und Lothar Riehmann 1977 in „Totentanz“ von A. Strindberg

Diese Gruppe war auf der Suche nach einem eigenen Proben- und Aufführungsdomizil; bei dieser Suche stieß sie auf ein Bauernhaus an der Zußdorfer Straße mit großer Scheune und darunter liegendem Stall – man sah gleich, dass hieraus ein wunderbares Theater mit den notwendigen Nebenräumen entstehen könnte! Man sah aber auch, dass die notwendigen Investitionen beträchtlich sein würden: 460.000 DM wurden es letztendlich. Diese Summe war natürlich viel zu hoch, um dann 10-15-mal im Jahr ein Theaterstück zu spielen! So kam die Gruppe auf den – damals kühnen – Gedanken, alle kulturellen Sparten in dieser Scheune zu beheimaten: neben dem Theater Musik jeder Stilrichtung, Film, Kleinkunst, die bildenden Künste und natürlich ein spezielles Kinderprogramm. Das war selbstverständlich mit Eigenproduktionen nicht zu schaffen: der neue Kulturverein sollte ein Veranstalter sein, der Gastkünstler nach Wilhelmsdorf einlädt. Mit diesem Konzept, einem Grundriss der Scheune und einem ersten Entwurf für ihren Ausbau lud die Gruppe zur Gründungsversammlung des Kulturvereins ein – 25 Personen hoben den Verein aus der Taufe und verabschiedeten den vorgelegten Satzungsentwurf. Die Gründung eines Kulturvereins – so befürchteten die Gründungsmitglieder – würde zunächst auf Desinteresse bzw. Skepsis treffen, denn es gab ja in der weiteren Umgebung keinerlei Vorbilder! Es musste also möglichst schnell gezeigt werden, was ein solcher Verein leisten und den Wilhelmsdorfer Bürgerinnen und Bürgern bieten kann. So nahm der Verein seine Arbeit zunächst ohne eigenes Domizil auf und präsentierte sein Programm in der Hauptschulturnhalle, der Aula des Bildungszentrums, dem Sitzungssaal der Raiffeisenbank und dem Betsaal der Brüdergemeinde.

Schnell war klar, dass diese Art der Arbeit in verschiedenen fremden Räumen nur eine Notlösung sein konnte: einen Raum frühestens um 17 Uhr betreten zu können, bis 20 Uhr zur Veranstaltung herrichten zu müssen, um nach der Veranstaltung bis spät in die Nacht den Raum wieder in den Urzustand zu versetzen – das muss den verbissensten Kulturarbeiter über kurz oder lang in die Knie zwingen. Kulturarbeit in Wilhelmsdorf ohne die Scheune wäre also nur für kurze Zeit möglich gewesen. Also musste ein Konzept für den Ausbau der Scheune und dessen Finanzierung her. Der damalige Wilhelmsdorfer Bürgermeister Schick gab den entscheidenden Hinweis: Das Land fördert den Aus- oder Umbau von Amateurtheatern mit einem Zuschuss bis zu einem Drittel der Kosten, wenn die Gemeinde ebenfalls ein Drittel der Kosten übernimmt. Der Verein muss das restliche Drittel selbst finanzieren. Es war klar, dass ein Zuschuss in Höhe von gut 150.000 DM von der Gemeinde nie und nimmer zu erwarten war, wenn nicht die Tragfähigkeit des Konzepts nachgewiesen war. Der Verein arbeitete – schön und gut. Aber die Scheune „arbeitete“ noch nicht. Es galt also nachzuweisen, dass die Scheune als Theater, Opernhaus, Konzertsaal und Ausstellungsraum große Qualitäten hat. Mit dem Ersparten der Theatergruppe und einem Kredit wurde die Scheune notdürftigst bespielbar gemacht: Ein elektrischer Anschluss wurde gelegt, eine einfache Beleuchtung installiert, Toiletten in den Stall eingebaut, ebenso die Bühne aus der alten Turnhalle des Gymnasiums – und bereits im Sommer 1984 wurde die neue Produktion der Theatergruppe in der Scheune gespielt. So gelang es, die Scheune als „Ort der Kulturarbeit“ zu präsentieren und die Vision, die das Leitungsteam des Kulturvereins von der Scheune und der künftigen Vereinsarbeit hatte, dem Publikum vorzustellen.

Mit dem Hinweis auf die Leistungen und damit die Leistungsfähigkeit des Vereins und die Tauglichkeit der Scheune für kulturelle Veranstaltungen wurden dann bei der Gemeinde und beim Land jeweils 150.000 DM Zuschuss beantragt. Nach viel Mühen, Hoffen und Bangen wurden beide Zuschüsse gewährt und die Ausbauarbeit begann – mit viel Eigenleistungen (damit wurde ein großer Teil des Vereinsanteils an der Finanzierung abgegolten) und unterbrochen immer wieder von Veranstaltungen, zunächst – wegen der fehlenden Wärmeisolierung und Heizung – nur im Hochsommer. Das war für das Bauamt des Landratsamtes natürlich eine völlig ungewöhnliche Sache: öffentliche Veranstaltungen auf einer Baustelle!

Doch neben den vielen Auseinandersetzungen mit dem Bauamt blieb überraschenderweise noch Zeit, des Ausbau der Scheune voranzutreiben – und 1989 wurde die Scheune offiziell eingeweiht. Seitdem verfügt der Kulturverein Wilhelmsdorf (unseres Wissens) als einzige Kulturinitiative in Oberschwaben über ein eigenes Theater mit Saal, Künstlergarderobe, Gästegarderobe, bewirtschaftetem Foyer und einer hervorragenden technischen Einrichtung. Die Theatergruppe Wilhelmsdorf, Keimzelle des Kulturvereins, hat sich in „Theater in der Scheune“ umbenannt und trägt mit ihren Einnahmen maßgeblich zum finanziellen Überleben des Kulturvereins bei.

Inzwischen hat der Kulturverein über 100 Mitglieder; bei der Hälfte davon handelt es sich um Familien. Das Vereinsprogramm umfasst inzwischen 60-90 Veranstaltungen im Jahr (wenn Viren nichts dagegen haben). Das meiste ist immer noch selbst erarbeitet.  Den größten Teil der Ausgaben machen die Gagen für die engagierten Gastgruppen aus, aber auch die Unkosten für das eigene Haus schlagen kräftig zu Buche. Das organisierte Programm ist nicht kostendeckend. Das heißt: die Gastgruppen kosten insgesamt mehr, als an Eintrittsgeldern eingenommen wird. Das Defizit wird gedeckt durch die Einnahmen des „Theaters in der Scheune“ und einen Zuschuss der Gemeinde Wilhelmsdorf, der im Rahmen der örtlichen Vereinsförderung alljährlich in Höhe von 3900 Euro vom Gemeinderat bewilligt wird. Und immer wieder gelingt es dem Kulturverein, Spender zu finden, die die Arbeit des Vereins, oft auch spezielle Projekte finanziell unterstützen. Da der Kulturverein als gemeinnützig anerkannt ist, können Spenden an den Verein von der Steuer abgesetzt werden. Der Kulturverein erhält jährlich auf Antrag einen Landeszuschuss für Anschaffungen, dessen Höhe von den „Komplementärmitteln“ (Spenden an den Verein aus dem Vorjahr, Zuschuss der Gemeinde) abhängt. Diese Zuschüsse wurden und werden eingesetzt, um die Qualität des Angebotes zu verbessern und die Arbeit zu erleichtern und zu vereinfachen. Die Zuschüsse ermöglichten eine hervorragende Beleuchtungsanlage, eine gute Tonanlage, eine Videoanlage mit Kamera und Großbildprojektor, eine spezielle Ausstellungsbeleuchtung, Stellwände für Ausstellungen, einen eigenen Kopierer und in jüngster Zeit neue Möbel im Gastrobereich, um nur die wichtigsten Anschaffungen zu nennen.

So bemüht sich der Kulturverein, fit zu bleiben und im Konkurrenzkampf der Anbieter und der neuen digitalen Medien oder überhaupt im immer zahlreicher werdenden Angebot im Freizeitbereich mit einem überzeugenden Programm zu bestehen – denn die Zahl der Anbieter ist seit 1983 enorm gewachsen -. „Ist der Konsument der ‚daily soap‘ oder der Serienjunkie eigentlich noch für Theater, Kabarett, Konzert zu begeistern? Kommt, wer seinen Musikbedarf auf  Streamingdiensten deckt, noch zu einem Lieder- oder Folkabend in die Scheune? Und wie kann man ihn dazu bringen?“ Das sind die zentralen Fragen, vor denen der Verein steht und die ihn in der Zukunft verstärkt beschäftigen müssen.

Einen schweren Schlag erlitt der Verein im Mai 2017, als sein Gründer und langjähriger Vorsitzender Reinhold Löhner völlig unerwartet verstarb. Im ersten Moment stand die Existenz des Kulturvereins auf der Kippe, aber sofort fanden sich Personen, die bereit waren, mit vollem Einsatz die Arbeit des Vereins im Sinne des Verstorbenen weiterzutragen und zu entwickeln. So verstärkt der Kulturverein seinen Rückhalt in der Gemeinde durch neue Angebote – einmal in der Woche wird das Foyer eintrittsfrei geöffnet – und durch die Zusammenarbeit mit den anderen örtlichen Institutionen, dem Naturschutzzentrum, der Waldbühne Zußdorf, der Gemeindebücherei, dem Helferkreis und dem Verein wirundjetzt. Wir gewinnen dadurch nicht nur neue Mitarbeiter, sondern verbreitern auch die Basis derer, die in die Scheune kommen – und für unser Publikum arbeiten wir schließlich.